Die Last mit der Last – kein Speed bergauf

Seit über einem Jahrhundert stellt Bosch Elektromotoren her. So griffen sie rund um 2010 einfach mal ins Konzernregal, um einen Motor als eBike-Antrieb einzusetzen. Gerüchteweise war es zunächst ein Scheibenwischermotor, dannach ein Motor für eine elektrische Servolenkung. Haben gut funktioniert, waren aber im Vergleich zum Wettbewerb etwas schwer.

Also musste ein leichterer Motor her. Nach ersten Fahrten scheint es mir, sie hätten inzwischen den Motor ihres kleinen Akkuschraubers aus dem Regal genommen. Oder den einer elektrischen Zahnbürste. Ich fand den neuen Speed schon bei den Eurobike Mediadays etwas schlapp, doch da wurde mir versichert, dass noch an der Software gearbeitet wird. Doch der Reihe nach:

die ultimative urbane Teststrecke in Wiesbaden ist die Auffahrt zum Neroberg. Repräsentiert sie doch besonders gut die Wiesbadener Topographie und in vielen ähnlichen Wohngebieten Deutschlands wohnen die Menschen mit Kindern und großer Familie, die auch das nötige Taschengeld für ein e-Lastenrad aufbringen können. Wenn´s hier funktioniert, dann auch in Stuttgart und Wuppertal.

Gilt auch für gewerblich genutzte Bikes. Referenz für meinen aktuellen Test war dieser Fahrtbericht.

Also voller Vorfreude das neue Load beladen:

Doch weit kam ich nicht, auf halber Strecke war Schluss.

Wie soll ich es beschreiben: es war wie mit einem Hinterradnabenmotor. Sobald eine bestimmte Motordrehzahl unterschritten wurde, bei einer Kadenz <40 und V<9 km/h stellt der Motor seinen Vortrieb komplett ein. Im Gegensatz zum alten CX oder Performance Speed scheint der Motor auf Pedaldruck nicht zu reagieren, um wieder in Schwung zu kommen. Der papierne Kraftprotz wurde zur elektrischen Zahnbürste. Na ja, wenigstens ging die Schiebehilfe

Ursachenforschung mit Mail an den Godfather of Speed, Markus Riese. Und hier kamen dann die Ratschläge und Erfahrungen, die wir im Vorfeld gebraucht hätten:

Bosch verbaut in der neuesten Generation in jeder Antriebseinheit, ob 25er oder 45er, ob CX oder Cargo, den gleichen Elektromotor. Unterschiede sind überwiegend die Sensoren und die Software. Der allererste Cargoline Speed, also unserer, hat nur 75Nm Drehmoment statt 85Nm. Steigerung durch Sofwareupgrade ist nicht möglich, das erlaubt der bürokratische Irrsinn nicht, da müsse man wieder durch die komplette Typprüfung.

Das wäre die erste Info gewesen die ich gerne gehabt hätte. Hätten wir vielleicht noch ein wenig gewartet mit dem Bestellen.

Riese und Müller konfigurierte zumindest für die 2020er Modelle den Cargoline-Speed als Performance Speed, kann man auf dem Nyon sehen. Hat dann zwar etwas weniger Tretkraftunterstützung, dafür aber etwas mehr Spitzenleistung und weniger Stromverbrauch. Dafür spielt sich alles bei etwas höherer Trittfrequenz ab. Gut, das konnte ich nachvollziehen. Schliesslich gibt es nicht nur Berge, in der Ebene will der normale Speedpedelecbiker ja auch schnell vorankommen.

Die letzte und vielleicht entscheidende Botschaft: die Varioschaltung ( Enviolo/ Ex-Nuvinci ) frisst in ihren extremen Übersetzungen ( ganz kurz, ganz lang ) Leistung, die Reibung im Innern ist hoch. Und: die 380% Spreizung sind für ein S-Pedelec zu wenig. Will man sich bei 45 km/h nicht tottreten, bleibt die kürzeste Übersetzung zu lang für den Berg. Der Motor kann das bei Beladung nicht mehr kaschieren, er ist untenrum schlichtweg zu schlapp.

Teures Lehrgeld! Deshalb mein Rat: wer in Wiesbaden, Wuppertal , Stuttgart oder im Allgäu, Taunus oder Sauerland wohnt. Oder viele Berge und Hügel auf seinem Weg hat: vergesst die Vario, nehmt die Kettenschaltung oder, wer auf den Antriebsriemen steht, die Rohloff. Diese wird sich im Laufe des Fahrradlebens sicher amortisieren.


3 Gedanken zu “Die Last mit der Last – kein Speed bergauf

  1. Hallo Martin,

    das ist eine sehr gute Erklärung, auf die ich sicher im weiteren Blogleben gerne Bezug nehmen werde. Sehr anschaulich finde ich die Erklärung, warum du nicht noch Mal eine Enviolo nehmen würdest. Sie hat sicher viele Vorteile und ist für noch viel mehr eine tolle Schaltung, doch für echte Steigungen braucht man eben etwas anderes.

    Allzeit gute Fahrt!

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  2. Diese typisch deutsche Verfahrenshuberei mit den Zulassungen für S-Peds ist reine Innovationsverhinderung.
    Man kriegt nur die veraltete Lösung, weil die neue teuer zugelassen werden muss.

    Und die Nuvinci mit der fehlenden Effizienz taugt – finde ich – nur für die Innenstadt oder bringt Mehrwert als Automatikgetriebe in Verbindung mit der Harmony. Die Entfaltung ist grottig und reicht nur für Flachlandgebiete, nicht aber für das typische Hügel- oder Mittelgebirgsszenario.
    Und dann der dauernde Hassel mit sich den selbst verstellenden Schaltbereichen und die oft kaputten Schaltzüge (nein, ich schalte nicht im Stehen!)
    Sorry, nie wieder Nuvinci!

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    1. Ja, nach allen Gesprächen, die ich mit wie auch immer Verantwortlichen dazu hatte, herrscht totales Desinteresse daran, Bestehendes zu ändern. Solange sich in den Städten auch nur 1 Autoreifen noch dreht, wird sich nichts ändern.

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