Covidial Times – Biken im Zeichen des Virus

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Es war Winter und seitdem ich in Wiesbaden wohne und („systemrelevant“) arbeite, gibt es zum Thema Speedpedelec nicht so wirklich viel zu berichten. Ein paar Tage lang versuchte ich, die 3 1/4 km zur Arbeit auf den Hauptsstraßen zurückzulegen, möglichst im Verkehr mitschwimmend. Das geht eigentlich ganz gut, macht auf Dauer aber wahnsinnig agressiv, da Dir das pro Kilometer etwa eine Nahtoderfahrung beschert. Nach etwa 2 Wochen besteht Deine Welt nur noch aus Idiot*Innen in Blechkisten, die Dir nach dem Leben trachten. Dann das Ganze noch in der Bikebubble auf Twitter verstärken lassen und schon bist Du einen großen Schritt weiter in Richtung Paranoia. Oder – für Eingeweihte –  zu Team Thanos, wobei Du diesen dann als ziemlichen Softie empfindest.

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Wesentlich besser für die Nerven, Dein Umfeld und die Menschheit ist daher die Fahrt im Stealthmodus auf Nebenstrecken, Radwegen und im Einbahnstraßengewirr. Musst´ nur noch auf die Verkehrspolizei achten, aber die besticht in Wiesbaden eher durch aktives Ignorieren ALLER Verkehrssünder. Eher irritieren die vielen Zu Fuß Gehenden, die ohne hinzuschauen vor Dir auf die Straße springen, Wahrscheinlich laufen alle nach Gehör, sind es nicht gewohnt, dass  in einer der fahrradunfreundlichsten Städte Deutschlands etwas anderes als ein Auto mit Verbrenner fährt.

Doch seit Beginn der Anti-Corona-Massnahmen ist vieles besser. Der Weg zur Arbeit fühlt sich an, als würde Dir erst auf dem Weg zur Arbeit auffallen, dass eigentlich Feiertag ist. Es ist so anders da draußen: die Luft ist klar, es ist leise. Du hörst Vögel singen, Hunde bellen. Triffst nicht auf  wildgewordene Mütter und Väter, die ihren Nachwuchs im Stile des berühmten Wiesbadeners Niko Rosberg auf den allerletzten Drücker mit dem Auto in die Schule bringen. Spürst viel weniger Verkehr und es sind seltsamerweise weniger Falschparker auf Radwegen und an Kreuzungsecken, obwohl doch viele Menschen zu Hause sind.

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Und Du kennst die Kennzeichen der Falschparker irgendwann auswendig, siehst dadurch, dass es immer die selben rücksichtslosen Egoist*Innen sind. Es sind erstaunlich wenige. Du siehst kaum Pendler, die sonst immer als erste im Autostau stehen wollen und um jeden Meter an der Ampel verbissen kämpfen. Und das ungewohnteste: es spielen Kinder auf der Straße. Einfach so.

Auf den Hauptstraßen sieht es anders aus: auf den leeren Straßen wird schneller und noch unaufmerksamer und rücksichtsloser als sonst gefahren. Wie viel 1,50m Abstand sind, vergessen viele Menschen offenbar, sobald sie im Auto sitzen. Dagegen müsste man wahrscheinlich die Straßen mit den gleichen Klebestreifen markieren, wie es sie an der Supermarktkasse gibt. So als Wiedererkennungseffekt. Weniger Autos bedeutet nicht automatisch seltenere Nahtoderfahrungen auf dem Speedpedelec.

3 1/4 Km hin und zurück zur Arbeit nenne ich nicht so richtig Biken. Und so richtig gut ging es mit dem eMTB im Dauerregen des Winters auch nicht.

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Zum Glück leben wir ja in Hessen, hier gibt es nur Kontaktverbot. Wir dürfen raus, das Wetter ist schön, die Berge und Wälder des Taunus und des Rheingaus locken. Schon die Routenplanung mit Komoot lässt mich aus Vorfreude dauergrinsen. Lächelnd ab aufs Rad – eMTB oder Delite – und los gehts.

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Geht wohl nicht allen so. Viele nehmen „Social Distancing“ allzu wörtlich. Hessische Hauptstädter*Innen an sich glauben wohl, dass Grüßen und Lächeln das Virus überträgt. Auch das In-die-Augen-Schauen. Gilt auch für viele Mountainbikende: glaubst Du deren Ausdruck im Gesicht, scheint Biken überhaupt keinen Spaß zu machen. Ähnlich wie Joggende: sind ja nicht zum Spaß hier!

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Draußen dagegen, hinter den 7 Bergen des Taunuswaldes, scheint die Welt auch in Corona- Zeiten in Ordnung. Hier reicht, was „Kontaktsperre“ eigentlich bedeutet: „Physical Distancing“.

Wir begegnetet gerade am Ostersonntag sehr vielen gut gelaunten Menschen. Abstand, aber freundlich und freudig Grüßend. Auch die sonst typischen Konflikte Wanderer vs. Biker  bleiben überwiegend aus. Man gibt sich gegenseitig so viel Platz wie möglich. Und Straßen werden plötzlich wieder eine Option für touristisches Radeln. Es sind einfach viel weniger Autofahrende auf den Landstraßen unterwegs. Die Rücksichtslosen sind zahlenmässig viel weniger als sonst.

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Also mir persönlich gefällt das Biken in den Covidial Times. Das Einzige, was mir echt fehlt sind Ausflugsrestaurants, Biergärten, Cafe´s und Eisdielen. So typische Ausflugsziele zum Selbstbelohnen halt.

Verlierer des „Physical Distancing“ werden ÖPNV und Bahn sein, sagen Verkehrsexperten weltweit ziemlich übereinstimmend. Dort ist es einfach zu eng, so lange es keine ausreichende Immunität gegen Covid-19 gibt. Für die Entwicklung unserer Städte und der allgemeinen Mobilität kommt es jetzt darauf an, ob die Menschen vom ÖPNV überwiegend aufs Rad, aufs eBike, auf Micromobile, auf Leichtkraftfahrzeuge oder auf die Füße umsteigen. Oder ob sie den vermeintlich bequemsten Weg, die Fahrt mit dem eigenen Auto, wählen bzw. schmackhaft gemacht bekommen. Gar noch unterstützt durch Umverteilung von unten nach oben, zum Beispiel einer Abwrackprämie, wie sie durch ewig Gestrige schon gefordert wird. Und der Forderung seitens CDU und FDP, man möge es nach Corona bitte nicht so eng mit den Umweltvorschriften nehmen.

Größten Einfluss wird haben, ob sich Arbeiten aus dem Homeoffice durchsetzen kann. Nur 1 Tag in der Woche könnte bis zu 20% weniger Berufsverkehr bringen, ganz grob gerechnet.

Ich hoffe also, dass die Menschen endlich mal die richtigen Schlüsse ziehen und die vielen Milliarden aus Steuergeldern in den Ausbau der Netze und Übertragungstechnologien, in die Förderung von sauberen und platzsparenden Fahrzeugen, in eine vielfältige Verkehrsinfrastruktur sowie neue ( oder vergessene ) Verkehrsmittel gesteckt werden. Damit wir auch in Zukunft so entspannt wie in diesen Tagen mit dem Bike unterwegs sein können.

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Allein mir fehlt der Glaube, belehrt mich eines Besseren!

 

 


4 Gedanken zu “Covidial Times – Biken im Zeichen des Virus

  1. Servus,

    das kann ich so bestätigen. Es ist zwar einiges los in Hessens Wäldern, aber harmoniert gefühlt besser als vorher.

    Eines Besseren belehren lassen musst Du Dich nicht. Vielmehr muss weiterhin einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden und die Politik sollte nicht nur ‚denen da oben‘ überlassen werden. Vermutlich wird es nicht reichen, ein paar Petitionen zu unterzeichnen. Das berechtigte Interesse an sauberer Luft und einem allgemeinen Schutz der noch verbliebenen Naturräume wird immer wieder laut eingefordert werden müssen.

    Ride on,
    Bernd

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  2. Wow sehr schön geschrieben! Und trotzdem unverblümt treffend! Bin zwar noch Analogreiter aber das ändert sich demnächst, wenn meine Pendelstrecke auf ca. 40km einfache Fahrt anwächst. Fühle mich dennoch sehr gut durch deine Gedanken hier vertreten - DANKE und stay safe!

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  3. Sehr toll geschrieben. Leider glaube ich nicht, dass die covidialen Zeiten auf den bikes die Richtigen errreichen. die Mächtigen, die Profitgierigen, die tumber Trampels interessiert es nicht, ob ich oder du etwas positives daran finden. Auch glaube ich nicht, dass das Klima sich deshalb verbessert- da sind ganz andere am Wirken, die in großem Stil die Welt berauben und versauen. So still vor sich hinfahrend und die Natur auf sich wirken zu lassen, macht die Mächtigen nicht untätig. Nein sie hören nur lautes Geschrei – aber siehe auch da setzen sie sich über Tausende hinweg. So ist es doch des Einzelnen Trost durch die Gegend zu fahren ganz still. Und die vielen Akkus, die von den noch ärmeren Menschen für die vielen e-bikes produziert werden bringen auch keine Nachhaltigkeit. So tröstet sich doch nur der Radfahrer selbst, um nicht schier verrückt zu werden in der covidalen Zeit. Er verbessert nicht die Welt, sondern sieht nur die Welt ist nicht schlecht und auch er will nur davon profitieren. Damit er nicht laut für eine gerechte Welt schreien und kämpfen muss. Schade eigentlich, dass ich micht auch gleich auf mein rosarotes Holländer setze und still bin. Weil ich —-keine Kraft mehr habe gegen die Mächtigen zu kämpfen, die an den Kapitalismus glauben und nicht die Welt verbessern. Die mich aber in Ruhe alleine Fahrrad fahren lassen. Noch!

    P.Christin

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