Das beschriebene Fahrzeug wurde mir von HP Velotechnik aus Kriftel zur Verfügung gestellt. Wer darin Werbung findet, darf sie behalten.
So, da stand ich also weit über dem Sitz des Scorpions und war mir nicht sicher, ob ich da runter komme. Es ist tief, sehr tief, die Lehne war flach und wie zum Teufel soll ich meinen Kopf ohne Kopfstütze halten können? Bequem sieht doch wohl ganz anders aus. So, wie das Messedreirad in einer Ecke der Produktionshalle von HP Velotechnik, mit Sitzerhöhung und breitem Sessel.

Der Tipp von Alexander, dem Marketingchef, war: einfach mittig über dem Ausleger stehen und nach hinten in den Sitz plumpsen lassen. Wer in einem Camper auf dem Klo einparken kann, sollte das doch hinbekommen. Es ging…………..



Wenn ich schon mal hier unten bin, dann kann ich mich auch schon mal umschauen und damit einigermassen souverän wirken. Aufstehen wird dann wahrscheinlich eine Hommage an den ersten Landgang der Meeressäuger vor 300 Millionen Jahren, lassen wir das erst mal.
Vor mir ragt die Kurbelgarnitur mit 3er- Kettenblättern auf. Davor – wie ein Rammbügel – die Halterung für Licht, Positionsleuchte ( richtig gelesen, der TÜV schreibt bei dreirädrigen Kraftfahrzeugen so was vor ) und die Blinker.


Die Blinker sind eine Eigenentwicklung von HP- Velotechnik, leicht und hell. Das Thema Blinker zeigt wieder die volle Logik der gesetzlichen Zulassungsvorschriften: bei zweirädrigen Speedpedelecs verboten, bei dreirädrigen Speedpedelecs vorgeschrieben! Es gab weltweit keine zulassungsfähigeń Blinker, also hat HP Velotechnik sie selbst entwickelt. Ein grösserer deutscher Hersteller will sie in Zukunft wohl in Lizenz herstellen.


Der Lenker geht unter mir durch. Wenn ich die Arme einfach locker fallen lasse, kann ich sehr bequem die Lenkerenden fassen. Links Blinkerschalter mit Kontrollleuchten, Hinterradbremse und Lenkerendhebel für den Umwerfer. Rechts Display, Motorsteuerung, Vorderradbremsen ( der Motorradfahrer in mir dankt es ) und Lenkerendhebel für die Kettenschaltung. Mit ein paar Verrenkungen lässt sich der Stand der Bremsflüssigkeit im vorgeschriebenen Schauglas an den Handbremszylindern sehen….. Hä?

Auch das wieder ein Beispiel für die unendliche Weisheit der Zulassungsbehörden: diese Vorschrift kommt auch aus der Motorradwelt, der zweirädrigen. Deshalb hat man sie dann ausschliesslich für drei – und vierrädrige Speedpedelecs übernommen. Zugegebenermassen ist das ganz praktisch, hat die Entwickler von HP Velotechnik aber vor eine fast unlösbare Aufgabe gestellt, schliesslich gab es auch dafür auf der ganzen Welt keine entsprechenden Serienteile. Sie haben es aber hinbekommen, wie man sieht.
Jetzt aber los, ich will erst mal fahren. Einschalten, Beine hoch und los gehts. Fühlt sich an wie beim Kardiologen, Belastungs-EKG. Ein paar Schlenker zum Üben auf dem Hof, dann ab auf die Strasse und in Richtung Sommerdomizil, dem Camper auf dem Platz von „The Eppstein Project“, etwa 15 km Strecke fürs Erste.

Ein paar Runden mit einem Scorpion habe ich ja schon auf der SPEZI 2019 gedreht, bin jetzt das erste Mal aber im Verkehr unterwegs. Holla, an die Dackelperspektive muss ich mich aber gewöhnen! Nirgendwo kann ich drüberschauen, auf der Strasse sehe ich nur noch buntes Blech.

Die Motorhauben moderner Fahrzeuge überragen mich locker. Dank des kräftigen Heckmotors fliege ich tief mit 45 km/h dahin, in der Stadt droht von hinten dann eher wenig Gefahr und mit beiden Rückspiegeln habe ich alles hinter mir gut im Blick.

Mit parkenden Autos sieht es anders aus, keine Chance, zu sehen, ob jemand drin sitzt und gleich aussteigen will oder nicht. Ab jetzt ist die Strassenmitte mir. Und es funktioniert, sie lassen mich. Auch Kreuzungen, Ausfahrten und rechtsvorlinks haben ihre Tücken, aus der Sicht von Unten wirkt die Stadt noch zugestellter als aus der Perspektive des Fussgängers.

Landstrasse, hier sieht es ganz anders aus. Inzwischen habe ich mich an die Sitzposition gewöhnt, liege bequem im voll verstellbaren und individuell auspolsterbaren Komfortsitz, vermisse keine Kopfstütze. Geradeauslauf und Federung sind für ein Dreirad perfekt und zeugen von einem riesigen Erfahrungsschatz bei Konstruktion und Einstellung der Fahrwerksgeometrie. Der Blick geht nach vorne oben, vor mir die Strasse, oben ziehen die Bäume vorbei, freier Blick zum Himmel. Die Reifen spielen ihr Lied, ich fliege……….

Mittags sind die Strassen schön leer, das Konfiktpotenzial mit anderen Verkehrsteilnehmern ist gering.Bei Einmündungen heisst es halt Augen auf und volle Bremsbereitschaft. Der Motor treibt mich schnell wieder auf volle Geschwindigkeit, falls ich doch mal wiederwillig bremsen musste. Habe ich schon erwähnt, dass man ein Speedpedelec immer auf voller Power fährt? Schon etwa hundert Mal? Okay, dann hier das hunderterste Mal………
Mal sehen, wie es auf unbefestigten Wegen ist. Erster Eindruck: nicht ganz so gut. Die Federung ist zwar klasse, die Reifen aber zu schmal und unprofiliert für wirklich schnelle Gangart.
Und dann geht es das erste Mal wirklich bergauf, Richtung Camper. Mal sehen, was der Neodrives Motor kann, mit Nabenmotoren habe ich durchwachsene Erfahrungen gemacht. Leider auch diesmal: BionX-reloaded. Der Direktläufer überhitzt nach ein paar Höhenmetern, ich muss ihn den Berg hoch ziehen. Dazu in einem eigenen Kapitel mehr.

Beim Camper komme ich dann mit dicken Beinen an. Dafür gestaltet sich dann das Aufstehen doch nicht als Landgang der ersten Säuger…….
Jetzt noch ein Rundgang um das Scorpion. McPherson Fahrwerk mit Querlenkerstabilisator vom Feinsten, Vollfederung, präziser Achsschenkellenkung, Rennwagenbau im Kleinen. Und relativ leicht, das Delite ist schwerer. Stabiler Gepäckträger für die Ortlieb‘s, ewig lang. Die Fahne mit Reflektor darf nicht fehlen.



Ich bin dabei, mich zu verlieben 😍🥰 und freue mich auf die kommenden Wochen, in denen ich die 20 km zur Arbeit pendeln darf. Als kleinen Vorgeschmack habe ich in diesem Artikel schon das eine oder andere Foto gezeigt 😉.
3 Gedanken zu “Flotter Dreier – der Scorpion sticht”